K návštěvě pana Seehofera v Praze (v němčině)
Text pro německý deník DIE WELT
Horst Seehofer springt auf einen längst fahrenden Zug auf
Der Besuch des CSU-Chefs in Prag ist nur folgerichtig. Seit Jahren funktioniert die Aussöhnung zwischen Tschechen und Deutschen
Von Hans-Jörg Schmidt
Prag - "Warum man besser Tschechisch lernen sollte? Na vielleicht, um ein gutes Bier ohne falsche Grammatik bestellen zu können." Schallendes Lachen, zweisprachig, deutsch und tschechisch. Auflockerungstraining von Mila Man, einem Prager Geschichtslehrer, für Gymnasiasten aus Meißen, Großenhain und Brno (Brünn). Die Elftklässler sitzen in einem großen Stuhlkreis in der ehemaligen Magdeburger Kaserne von Terezín, dem früheren Theresienstadt. Stunden später bereiten sie sich in kleinen Gruppen auf einen Rundgang durch den Ort vor, der für Juden aus ganz Europa in der Zeit der nationalsozialistischen Besatzung Böhmens und Mährens ein Ort des Grauens war.
"Der Führer schenkt den Juden eine Stadt", hieß das perfide Motto damals. Eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes, die nach Theresienstadt kam, um die Lebensumstände der dorthin deportierten Juden zu untersuchen, ließ sich hinters Licht führen. Frisch gepflanzte Rosenstöcke wurden ihr vorgeführt, Theateraufführungen, eine vermeintlich heile Welt. Am Tag darauf wurden die Laienschauspieler nach Auschwitz deportiert. Wie Zehntausende andere "Bewohner" Theresienstadts.
Warum müssen sich heute, mehr als ein halbes Jahrhundert danach, Schüler mit dieser Geschichte befassen? Jürgen Scheinert, der im Landesjugendpfarramt Sachsen solche Begegnungen organisiert, schaut einen bei einer solchen Frage ungläubig an: "Es gibt darauf nur die ewig gleiche, aber richtige Antwort: Es darf nie wieder geschehen."
Die Nachgeborenen gehen würdevoll mit der Geschichte um, für die sie nichts können. Eliska Lysoukova und Bara Jindrova, zwei der Brünner Gymnasiasten, können ihren deutschen Gleichaltrigen keine Vorhaltungen machen: "Man ist fassungslos, wenn man hört und liest, wie die Menschen hier unter den Nazis dahinvegetierten. Aber die heutige Generation der Deutschen in unserem Alter ist daran doch nicht schuld."
Dennoch ist eine Beklommenheit nicht zu übersehen, als die Gymnasiasten später die sogenannte Kleine Festung Theresienstadt besuchen, das Gefängnis der Prager Gestapo. Das liegt an der Führung, die so auch unter dem kommunistischen Regime hätte ablaufen können und die es offenbar gezielt vermeidet, auf eine kleine Ausstellung hinzuweisen, für die sich am Ende vor allem die Tschechen interessieren: Eine Ausstellung, die belegt, wie die tschechischen "Sieger" das Konzentrationslager sofort in ein Lager für Deutsche umfunktionierten. "Wir haben uns nicht viel besser verhalten als die Deutschen", sagt eine der Brünner Schülerinnen im Hinausgehen.
Bundespräsident Christian Wulff hat das gute Verhältnis zwischen beiden Nachbarn kürzlich bei seinem Antrittsbesuch in Prag als "Geschenk der Geschichte" gewürdigt, eine Formulierung, die auch seinem Gastgeber Václav Klaus gefallen hatte. Einer Kommentatorin in einer Prager Qualitätszeitung stieß das dagegen auf: Es sei kein Geschenk der Geschichte, dass Tschechen und Deutsche heute zunehmend besser zusammenlebten, sondern das Ergebnis harter Arbeit von vielen "normalen" Tschechen und Deutschen. Mithin von Leuten wie Jürgen Scheinert vom Landesjugendpfarramt in Dresden. Oder auch von David Vondracek, dem tschechischen Filmemacher, der für sein beeindruckendes Dokument über die Ermordung von Deutschen nach dem Krieg den Franz-Werfel-Preis der Stiftung des Zentrums gegen Vertreibungen verliehen bekommen hat.
CSU-Chef Horst Seehofer springt mit seinem Sonntag beginnenden Besuch in Prag gewissermaßen nur auf einen längst fahrenden Zug auf. Schlagzeilen wie "Ende der Eiszeit" oder "Durchbruch" sind unangebracht, auch wenn es 65 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs der erste offizielle Besuch eines bayerischen Ministerpräsidenten im Nachbarland ist.
Sein Vorgänger Edmund Stoiber wollte nur fahren, wenn in seiner Delegation die nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Sudetendeutschen repräsentativ vertreten sein dürften. Prag lehnte ab, um nicht den Eindruck zu erwecken, man verhandle mit einer "Bevölkerungsgruppe". Tschechisch-deutsche Fragen seien Staatspolitik und würden nur mit der deutschen Bundesregierung verhandelt. Das gilt bis heute.
So wird zwar Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, offizielles Delegationsmitglied sein. Aber an dem Gespräch Seehofers mit Premier Petr Necas wird er nicht teilnehmen. Ob das klug ist? Posselt ist seit vielen Jahren Europaabgeordneter der CSU und somit ständiger Gesprächspartner auch für seine Kollegen aus Tschechien. Er ist auch kein "Hardliner" unter den Sudetendeutschen. Er hat auf früheres Familieneigentum in Gablonz, dem heutigen Jablonec, verzichtet. Wiederholt hat er für den "Anteil der Sudetendeutschen" an der Unterdrückung der Tschechen in der Zeit der nationalsozialistischen Besatzung Böhmens und Mährens um Vergebung gebeten. Posselt ist gefragter Gesprächspartner für tschechische Medien.
Unlängst gehörte er einer Delegation aus der Münchner Staatskanzlei an, die auch das nach dem Attentat auf Hitlers Statthalter Reinhard Heydrich dem Erdboden gleichgemachte Lidice und Theresienstadt besuchte. Die Delegation legte jedoch auch einen Kranz auf der Benesch-Brücke in Usti (Aussig) nieder. Dort waren kurz nach Kriegsende Deutsche von "revolutionären Garden" und tschechischem Mob in die Elbe gestoßen worden. Die Gleichstellung der tschechischen und deutschen Opfer bei dieser Reise hat manchen in Tschechien nicht gefallen. Ein Spaziergang wie der für Gäste übliche über die Karlsbrücke wird der Besuch Seehofers in Prag also nicht werden. Es liegen Fallen aus. Überall.
DIE WELT, 18.12.2010
Horst Seehofer springt auf einen längst fahrenden Zug auf
Der Besuch des CSU-Chefs in Prag ist nur folgerichtig. Seit Jahren funktioniert die Aussöhnung zwischen Tschechen und Deutschen
Von Hans-Jörg Schmidt
Prag - "Warum man besser Tschechisch lernen sollte? Na vielleicht, um ein gutes Bier ohne falsche Grammatik bestellen zu können." Schallendes Lachen, zweisprachig, deutsch und tschechisch. Auflockerungstraining von Mila Man, einem Prager Geschichtslehrer, für Gymnasiasten aus Meißen, Großenhain und Brno (Brünn). Die Elftklässler sitzen in einem großen Stuhlkreis in der ehemaligen Magdeburger Kaserne von Terezín, dem früheren Theresienstadt. Stunden später bereiten sie sich in kleinen Gruppen auf einen Rundgang durch den Ort vor, der für Juden aus ganz Europa in der Zeit der nationalsozialistischen Besatzung Böhmens und Mährens ein Ort des Grauens war.
"Der Führer schenkt den Juden eine Stadt", hieß das perfide Motto damals. Eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes, die nach Theresienstadt kam, um die Lebensumstände der dorthin deportierten Juden zu untersuchen, ließ sich hinters Licht führen. Frisch gepflanzte Rosenstöcke wurden ihr vorgeführt, Theateraufführungen, eine vermeintlich heile Welt. Am Tag darauf wurden die Laienschauspieler nach Auschwitz deportiert. Wie Zehntausende andere "Bewohner" Theresienstadts.
Warum müssen sich heute, mehr als ein halbes Jahrhundert danach, Schüler mit dieser Geschichte befassen? Jürgen Scheinert, der im Landesjugendpfarramt Sachsen solche Begegnungen organisiert, schaut einen bei einer solchen Frage ungläubig an: "Es gibt darauf nur die ewig gleiche, aber richtige Antwort: Es darf nie wieder geschehen."
Die Nachgeborenen gehen würdevoll mit der Geschichte um, für die sie nichts können. Eliska Lysoukova und Bara Jindrova, zwei der Brünner Gymnasiasten, können ihren deutschen Gleichaltrigen keine Vorhaltungen machen: "Man ist fassungslos, wenn man hört und liest, wie die Menschen hier unter den Nazis dahinvegetierten. Aber die heutige Generation der Deutschen in unserem Alter ist daran doch nicht schuld."
Dennoch ist eine Beklommenheit nicht zu übersehen, als die Gymnasiasten später die sogenannte Kleine Festung Theresienstadt besuchen, das Gefängnis der Prager Gestapo. Das liegt an der Führung, die so auch unter dem kommunistischen Regime hätte ablaufen können und die es offenbar gezielt vermeidet, auf eine kleine Ausstellung hinzuweisen, für die sich am Ende vor allem die Tschechen interessieren: Eine Ausstellung, die belegt, wie die tschechischen "Sieger" das Konzentrationslager sofort in ein Lager für Deutsche umfunktionierten. "Wir haben uns nicht viel besser verhalten als die Deutschen", sagt eine der Brünner Schülerinnen im Hinausgehen.
Bundespräsident Christian Wulff hat das gute Verhältnis zwischen beiden Nachbarn kürzlich bei seinem Antrittsbesuch in Prag als "Geschenk der Geschichte" gewürdigt, eine Formulierung, die auch seinem Gastgeber Václav Klaus gefallen hatte. Einer Kommentatorin in einer Prager Qualitätszeitung stieß das dagegen auf: Es sei kein Geschenk der Geschichte, dass Tschechen und Deutsche heute zunehmend besser zusammenlebten, sondern das Ergebnis harter Arbeit von vielen "normalen" Tschechen und Deutschen. Mithin von Leuten wie Jürgen Scheinert vom Landesjugendpfarramt in Dresden. Oder auch von David Vondracek, dem tschechischen Filmemacher, der für sein beeindruckendes Dokument über die Ermordung von Deutschen nach dem Krieg den Franz-Werfel-Preis der Stiftung des Zentrums gegen Vertreibungen verliehen bekommen hat.
CSU-Chef Horst Seehofer springt mit seinem Sonntag beginnenden Besuch in Prag gewissermaßen nur auf einen längst fahrenden Zug auf. Schlagzeilen wie "Ende der Eiszeit" oder "Durchbruch" sind unangebracht, auch wenn es 65 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs der erste offizielle Besuch eines bayerischen Ministerpräsidenten im Nachbarland ist.
Sein Vorgänger Edmund Stoiber wollte nur fahren, wenn in seiner Delegation die nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Sudetendeutschen repräsentativ vertreten sein dürften. Prag lehnte ab, um nicht den Eindruck zu erwecken, man verhandle mit einer "Bevölkerungsgruppe". Tschechisch-deutsche Fragen seien Staatspolitik und würden nur mit der deutschen Bundesregierung verhandelt. Das gilt bis heute.
So wird zwar Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, offizielles Delegationsmitglied sein. Aber an dem Gespräch Seehofers mit Premier Petr Necas wird er nicht teilnehmen. Ob das klug ist? Posselt ist seit vielen Jahren Europaabgeordneter der CSU und somit ständiger Gesprächspartner auch für seine Kollegen aus Tschechien. Er ist auch kein "Hardliner" unter den Sudetendeutschen. Er hat auf früheres Familieneigentum in Gablonz, dem heutigen Jablonec, verzichtet. Wiederholt hat er für den "Anteil der Sudetendeutschen" an der Unterdrückung der Tschechen in der Zeit der nationalsozialistischen Besatzung Böhmens und Mährens um Vergebung gebeten. Posselt ist gefragter Gesprächspartner für tschechische Medien.
Unlängst gehörte er einer Delegation aus der Münchner Staatskanzlei an, die auch das nach dem Attentat auf Hitlers Statthalter Reinhard Heydrich dem Erdboden gleichgemachte Lidice und Theresienstadt besuchte. Die Delegation legte jedoch auch einen Kranz auf der Benesch-Brücke in Usti (Aussig) nieder. Dort waren kurz nach Kriegsende Deutsche von "revolutionären Garden" und tschechischem Mob in die Elbe gestoßen worden. Die Gleichstellung der tschechischen und deutschen Opfer bei dieser Reise hat manchen in Tschechien nicht gefallen. Ein Spaziergang wie der für Gäste übliche über die Karlsbrücke wird der Besuch Seehofers in Prag also nicht werden. Es liegen Fallen aus. Überall.
DIE WELT, 18.12.2010