Nekrolog Jiri Dienstbier (v nemcine)
Text pro DIE WELT, 10.1.2011
Der Minister, der noch heizen musste
Tschechien und Europa trauern um Jiri Dienstbier
Von Hans-Jörg Schmidt
Prag - Es gibt wenige Fotos, die sich ins Gedächtnis der Menschen für lange Zeit
einprägen. Zu ihnen gehören die, auf denen der tschechoslowakische Außenminister
Jiri Dienstbier mit seinem deutschen Kollegen Hans-Dietrich Genscher mit einem
Bolzenschneider den Stacheldrahtzaun an der Grenze durchschneidet. Im Dezember
1989 markierten sie damit symbolisch das Ende des Eisernen Vorhangs.
Dienstbier war seinerzeit noch ganz frisch in seinem Amt. Er konnte es nicht
einmal richtig ausfüllen. Bis zu seiner Ernennung nämlich hatte er als Heizer
arbeiten müssen. Die Firma, in der Dienstbier zuletzt heizte, konnte nicht so
rasch einen Ersatz finden. Also marschierte der frisch gebackene Minister noch
ein paar Tage an seine alte Wirkungsstätte.
Schon 1985/86 hatte Dienstbier heimlich in einer Heizungsanlage seine
Vorstellungen von der Überwindung der Blöcke, von der Vereinigung Europas und
Deutschlands und vom Entstehen eines demokratischen politischen Systems in
Osteuropa niedergeschrieben. “Es war eine denkbar schlechte Zeit fürs
Bücherschreiben” erinnerte er sich. “Ich war in jenem Jahr Sprecher der Charta
77 und stand dementsprechend unter verstärkter Kontrolle der Geheimpolizei. Eine
Kopie jeder geschriebenen Seite musste ich sofort verstecken. ‘Sie’ konnten
einen nämlich durchaus in unpassenden Augenblicken überraschen.“
Das, was Dienstbier Mitte der 1980er Jahre zu Papier brachte, waren für ihn
damals “lächerliche Visionen dissidentischer Träumer”. Und nun plötzlich wurden
diese Träume von den Ereignissen selbst übertroffen, wurde Dienstbier einer der
prägenden Akteure. Es kann so auch nicht verwundern, dass bei vielen seiner
einstigen Weggefährten Fassungslosigkeit und Trauer aufkamen, als sie vom Tod
des 73-jährigen Dienstbiers am Samstag erfuhren.
Hans-Dietrich Genscher würdigte ihn gegenüber der WELT und dem großen Prager
Internetportal Aktualne.cz als einen “großen Freund”, durch dessen Tod “nicht
nur die Tschechische Republik, sondern ganz Europa ärmer geworden” sei.
Dienstbier sei ein “überzeugter Europäer” gewesen, “der sich zudem sehr um die
Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen verdient gemacht hat.”
In Tschechien wurde nicht nur Dienstbiers Rolle aus Außenpolitiker gewürdigt.
Sein enger Weggefährte Vaclav Havel erinnerte unter anderem an die Zeit
gemeinsamer Haft unter den Kommunisten: “Er hat uns auch in den schlimmsten
Zeiten dort immer mit seiner guten Laune aufgemuntert. Ich habe von seiner
Krebserkrankung gewusst, bin aber dennoch von seinem Tod sehr überrascht.”
Seinen Respekt mochte Dienstbier auch Präsident Vaclav Klaus nicht versagen, der
zwar betonte, dass sie beide häufig unterschiedliche Ansichten hatten, der
Verstorbene aber in seiner Erinnerung stets ein “Gentleman” bleiben werde.
Dienstbier hatte eine typische Dissidentenkarriere hinter sich, als er in sein
Amt kam: aus beruflicher Notwendigkeit trat er der KP bei, erweiterte als
Auslandskorrespondent des Radios unter anderem in den USA seinen Gesichtskreis,
erlebte verbittert das gewaltsame Ende des Prager Frühlings, kehrte aus
Pflichtgefühl und mit dem Willen, zu retten, was zu retten ist, in die Heimat
zurück, wurde verfolgt, immer wieder verhaftet, in finanzielle Not und Isolation
gedrängt. Doch er engagierte sich immer neu, in Menschenrechtsgruppen, der
Charta 77 oder als Autor für Untergrundzeitungen. Seine frühere
KP-Mitgliedschaft wird ihm zum Verhängnis bei den Wahlen in den 1990er Jahren,
als der Antikommunismus pauschalisierende Züge annimmt. Später sollen auch noch
Vorwürfe die Runde machen, er habe für die Prager Stasi gearbeitet, was er
entrüstet zurückweist.
Als Dienstbier 1992 als Außenminister ausscheidet, hat er viel vollbracht. Er
sitzt unter anderem der Tagung in Prag vor, auf der der Warschauer Vertrag
beerdigt wird und fördert maßgeblich den KSZE-Prozess. Zu seinen
Lebensleistungen zählt die Arbeit als Menschenrechtsbeauftragter für das frühere
Jugoslawien, wo er immer wieder unbequem dem Westen Versagen vorwirft. In
Tschechien selbst erlebt er in den letzten Jahren ein Comeback, saß bis zu
seinem Tod als Parteiloser für die Sozialdemokraten im Senat, der zweiten Kammer
des Parlaments.
Die Deutschen können sich glücklich schätzen, Dienstbier als Partner gehabt zu
haben. Nicht nur wegen seines frühen Eintretens für die Wiedervereinigung. Er
setzte sich immer auch kritisch mit der Vertreibung auseinander. “Die Wahrheit
muss man immer sagen können”, begründete er das, “auch wenn es unpopulär ist.”
Der Minister, der noch heizen musste
Tschechien und Europa trauern um Jiri Dienstbier
Von Hans-Jörg Schmidt
Prag - Es gibt wenige Fotos, die sich ins Gedächtnis der Menschen für lange Zeit
einprägen. Zu ihnen gehören die, auf denen der tschechoslowakische Außenminister
Jiri Dienstbier mit seinem deutschen Kollegen Hans-Dietrich Genscher mit einem
Bolzenschneider den Stacheldrahtzaun an der Grenze durchschneidet. Im Dezember
1989 markierten sie damit symbolisch das Ende des Eisernen Vorhangs.
Dienstbier war seinerzeit noch ganz frisch in seinem Amt. Er konnte es nicht
einmal richtig ausfüllen. Bis zu seiner Ernennung nämlich hatte er als Heizer
arbeiten müssen. Die Firma, in der Dienstbier zuletzt heizte, konnte nicht so
rasch einen Ersatz finden. Also marschierte der frisch gebackene Minister noch
ein paar Tage an seine alte Wirkungsstätte.
Schon 1985/86 hatte Dienstbier heimlich in einer Heizungsanlage seine
Vorstellungen von der Überwindung der Blöcke, von der Vereinigung Europas und
Deutschlands und vom Entstehen eines demokratischen politischen Systems in
Osteuropa niedergeschrieben. “Es war eine denkbar schlechte Zeit fürs
Bücherschreiben” erinnerte er sich. “Ich war in jenem Jahr Sprecher der Charta
77 und stand dementsprechend unter verstärkter Kontrolle der Geheimpolizei. Eine
Kopie jeder geschriebenen Seite musste ich sofort verstecken. ‘Sie’ konnten
einen nämlich durchaus in unpassenden Augenblicken überraschen.“
Das, was Dienstbier Mitte der 1980er Jahre zu Papier brachte, waren für ihn
damals “lächerliche Visionen dissidentischer Träumer”. Und nun plötzlich wurden
diese Träume von den Ereignissen selbst übertroffen, wurde Dienstbier einer der
prägenden Akteure. Es kann so auch nicht verwundern, dass bei vielen seiner
einstigen Weggefährten Fassungslosigkeit und Trauer aufkamen, als sie vom Tod
des 73-jährigen Dienstbiers am Samstag erfuhren.
Hans-Dietrich Genscher würdigte ihn gegenüber der WELT und dem großen Prager
Internetportal Aktualne.cz als einen “großen Freund”, durch dessen Tod “nicht
nur die Tschechische Republik, sondern ganz Europa ärmer geworden” sei.
Dienstbier sei ein “überzeugter Europäer” gewesen, “der sich zudem sehr um die
Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen verdient gemacht hat.”
In Tschechien wurde nicht nur Dienstbiers Rolle aus Außenpolitiker gewürdigt.
Sein enger Weggefährte Vaclav Havel erinnerte unter anderem an die Zeit
gemeinsamer Haft unter den Kommunisten: “Er hat uns auch in den schlimmsten
Zeiten dort immer mit seiner guten Laune aufgemuntert. Ich habe von seiner
Krebserkrankung gewusst, bin aber dennoch von seinem Tod sehr überrascht.”
Seinen Respekt mochte Dienstbier auch Präsident Vaclav Klaus nicht versagen, der
zwar betonte, dass sie beide häufig unterschiedliche Ansichten hatten, der
Verstorbene aber in seiner Erinnerung stets ein “Gentleman” bleiben werde.
Dienstbier hatte eine typische Dissidentenkarriere hinter sich, als er in sein
Amt kam: aus beruflicher Notwendigkeit trat er der KP bei, erweiterte als
Auslandskorrespondent des Radios unter anderem in den USA seinen Gesichtskreis,
erlebte verbittert das gewaltsame Ende des Prager Frühlings, kehrte aus
Pflichtgefühl und mit dem Willen, zu retten, was zu retten ist, in die Heimat
zurück, wurde verfolgt, immer wieder verhaftet, in finanzielle Not und Isolation
gedrängt. Doch er engagierte sich immer neu, in Menschenrechtsgruppen, der
Charta 77 oder als Autor für Untergrundzeitungen. Seine frühere
KP-Mitgliedschaft wird ihm zum Verhängnis bei den Wahlen in den 1990er Jahren,
als der Antikommunismus pauschalisierende Züge annimmt. Später sollen auch noch
Vorwürfe die Runde machen, er habe für die Prager Stasi gearbeitet, was er
entrüstet zurückweist.
Als Dienstbier 1992 als Außenminister ausscheidet, hat er viel vollbracht. Er
sitzt unter anderem der Tagung in Prag vor, auf der der Warschauer Vertrag
beerdigt wird und fördert maßgeblich den KSZE-Prozess. Zu seinen
Lebensleistungen zählt die Arbeit als Menschenrechtsbeauftragter für das frühere
Jugoslawien, wo er immer wieder unbequem dem Westen Versagen vorwirft. In
Tschechien selbst erlebt er in den letzten Jahren ein Comeback, saß bis zu
seinem Tod als Parteiloser für die Sozialdemokraten im Senat, der zweiten Kammer
des Parlaments.
Die Deutschen können sich glücklich schätzen, Dienstbier als Partner gehabt zu
haben. Nicht nur wegen seines frühen Eintretens für die Wiedervereinigung. Er
setzte sich immer auch kritisch mit der Vertreibung auseinander. “Die Wahrheit
muss man immer sagen können”, begründete er das, “auch wenn es unpopulär ist.”